Beitrag aus dem Jahrbuch 100 beste Plakate 17
(Hinweis: die online hinterlegten animierten Fassungen der Gewinnermotive finden Sie bei den Plakatabbildungen)

Das bewegte Plakat

Immer häufiger wird die Chance genutzt, das Medium Plakat um eine Dimension zu erweitern: die Zeit. Motive, welche bisher nur starr existieren konnten, fangen nun an sich zu bewegen. Das Model auf dem Plakat der neuen Modekollektion zwinkert uns zu, die Eiscreme auf dem Plakat eines Lebensmittelherstellers beginnt zu schmelzen und die Flugzeuge auf dem Plakat der nächsten Luftshow heben ab. Kurz, unsere Plakatwände fangen an zu leben.

Ich beschäftige mich seit 2014 intensiv mit dem Medium des bewegten Plakats.
Die Auseinandersetzung begann mit eigenen animierten Plakaten und führte später zu einer Sammlung von über 100 bewegten Plakaten aus aller Welt. Aus dieser Sammlung entstanden bereits zwei Ausstellungen, welche das Spektrum und die Machart bewegter Plakate durchleuchten sowie ein Online-Archiv für bewegte Plakate.

Dieser Text nun ist ein Versuch, die neue bewegte Form des Plakats zu analysieren, eine Übersicht über dessen Variationen und Stilrichtungen zusammenzustellen, daraus entstehende Strukturen erkennbar zu machen und Regeln abzuleiten. Am Ende stellt sich die Frage nach der Zukunft dieses neuen Mediums: Wird sich das bewegte Plakat schließlich weiterentwickeln? Wird es verpuffen oder wird es der Tod des gedruckten Plakats sein?

I Spektrum

Ein bewegtes Plakat ist eine Fläche, die plakativ und auf den Punkt gebracht, verstärkt durch bewegende Elemente informiert und so eine Abfolge von Varianten der Plakatidee widerspiegelt.

Das Spektrum bewegter Plakatvariationen ist groß. Es reicht ausgehend vom statischen, sich marginal bewegenden bis hin zu sich kaum mehr vom Film unterscheidenden Plakat. Dieses Spektrum bewegter Plakate lässt sich grob in drei Bereiche unterteilen: Der statische, der dynamische und der filmische.

Statisch
Die bewegten Plakate dieser Gruppe weisen die einfachste Art der Bewegung auf. Sie bestehen teilweise nur aus wenigen sich abwechselnden Frames, wodurch eine eher abgehackte Bewegung entsteht. So zum Beispiel beim Plakat für die Rockwoche in de Roten Fabrik, welches aus nur zwei sich abwechselnden Frames besteht und das Sujet einmal positiv und einmal negativ zeigt.
Die Art dieser Bewegung erinnert an ein ruckelndes Daumenkino oder an den Stroboskopeffekt. Das Plakat bleibt während der Bewegung in seinem Aufbau gleich, es findet keine Platzverschiebung statt – Weißraum, Verteilung und Gewichtung bleiben identisch. Einzig Farbwerte, Strukturen oder Helligkeit der Plakate ändern sich während der Abspieldauer.

Dynamisch
Dies ist die größte der drei Gruppen, in welche sich bewegte Plakate einteilen lassen. Auf dynamischen Plakaten werden Objekte und/oder Schrift bewegt, verzerrt, verzogen, skaliert und rotiert. Das volle Bewegungsspektrum wird ausgeschöpft. Beispiele sind abstrakte Bewegungen wie z. B. Buchstaben die sich verzerren, oder einfach herumschieben, aber auch natürliche Bewegungen, wie ein fahrendes Auto oder das kreisende Licht eines Leuchtturms. Es gibt Plakate, bei welchen nur eine einzige Bewegung im Zentrum steht, wie eine sich rümpfende Nase, oder solche, bei welchen auf dem ganzen Format verteilt einzelne Bewegungen stattfinden.

Filmisch
Nicht selten befindet sich auf dem statischen Ursprungsplakat eines filmischen Plakats ein Foto, welches bei der Umsetzung zum bewegten Plakat durch eine Videosequenz ersetzt wird. Teilweise interagieren diese Sequenzen mit den anderen vorhandenen Objekten und der Typografie. So zum Beispiel beim Plakat für die 52. Solothurner Filmtage, bei welchem sich die Konturen um die Videosequenzen parallel zu den Videos verändern. Einige Plakate dieser Gruppe sind dem Medium Film sehr nahe und unterscheiden sich davon nur noch durch ihr Format und zusätzlichen Schrifteinsatz. So zum Beispiel das Plakat »Pamela Mendez«.

II Bewegungsformen

Da die Bewegungsformen der dynamischen Gruppe am komplexesten und am vielfältigsten sind, macht es Sinn, diese etwas genauer zu betrachten. Die Plakate dieser Gruppe bestehen in der Regel aus einer Kombination von Typografie, Objekten und/oder Typoobjekten. Dabei bringt jedes dieser Elemente seine ganz eigene Art der Bewegung mit sich, welche eher selten in Kombination auftreten.

Typografie in Bewegung
Die Schrift wird meist nur bei reinen typografischen Plakaten bewegt, da sie vermutlich das am schwierigsten zu bewegende Element ist. Objekte, wie ein Ball oder ein Flugzeug, tragen die Idee der Bewegung schon mit sich. Wie aber bewegt sich ein W, ein P oder ein ganzes Wort? Und verhält sich eine bewegte Arial anders als eine bewegte Times? Das Umherschieben scheint die beliebteste Art der Bewegung von Buchstaben zu sein. Wahrscheinlich, da dies die unverfänglichste und einfachste Variante ist. Die Worte werden mal rhythmisch, mal linear, mal nach links oder nach rechts im Format herumgeschoben.

Typoobjekte in Bewegung
Typoobjekte sehen aus wie Buchstaben, stellen gleichzeitig Objekte dar und können sich wie diese verhalten. So zum Beispiel beim Plakat »Rundgang«, bei dem Heliumballone in Form von Buchstaben durchs Plakatformat fliegen oder beim Plakat »Be Water«, bei welchem sich Schriftzeichen aus Wasser wie Tropfen auf einer Oberfläche bewegen.

Objekte in Bewegung
Objekte werden entweder völlig abstrakt oder der Logik nach bewegt. Abstrakten Bewegungen sind keine Grenzen gesetzt. Es wird gedreht, verzogen, verschoben oder skaliert. Logische Bewegungen halten sich an physikalische Gesetzmäßigkeiten, wie beispielsweise an die Gravitationskraft. So fallen im Plakat »Salzhaus« die einzelnen Salzkörner an den Buchstaben vorbei zu Boden. Bei real existierenden Objekten im Plakat scheint die Bewegung häufig schon vorgegeben – es hat den Anschein, als müsste man lediglich auf Play drücken. Ein Beispiel dafür ist das Plakat für das Luzerner Fest, bei welchem die darauf vorkommenden Schwäne auf Wellen auf und ab durchs Bild schwimmen.

III Fünf Regeln

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Das bewegte Plakat ist als eigenständige Disziplin zu betrachten. Zwar folgt es den formalen grafischen Gesetzen der Plakatgestaltung, aber mit dem Zusatz der Bewegung. Die meisten bewegten Plakate entstehen als zusätzliche Variante zu einer vorab erstellten statischen Version. Sie gehören in die Reihe verschiedener Informationsträger wie Flyer oder Teaser. Das bewegte Plakat ist also nicht als Konkurrenz zum Ursprungsplakat zu verstehen, sondern als Ergänzung oder Variation. Es wird meist an ähnlichen Orten, wie beispielsweise Bahnhöfen und Einkaufsstraßen und auf Screens mit ähnlichem Format wie das gedruckte Plakat, gezeigt. Formal ähnelt das bewegte Plakat deshalb stark einem gedruckten und folgt somit auch den gleichen Kriterien. Der Zusatz der Bewegung schafft allerdings die Möglichkeit, die Aussage zu präzisieren, eine zweite Seite zu zeigen oder die Stimmung des Plakates zu intensivieren.

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Die Bewegung sollte nicht dekorativ oder etwas gänzlich Neues sein, sondern ausschließlich unterstützend und verstärkend eingesetzt werden. Die Bewegung sollte auf der Aussage des Plakats basieren, diese aufnehmen und verstärken. Wie beispielsweise bei der bewegten Version des Plakates von Otto Baumberger, bei dem die Flugzeuge, welche schon in Staffel zu fliegen scheinen, in der bewegten Variante eben genau dies tun. Der Einsatz von Bewegung ist vergleichbar mit dem Einsatz von Spezialfarben beim Druck. Man druckt nicht jedes Plakat in Leuchtfarben, nur weil es so mehr auffällt, sondern wenn es mit der Plakatbotschaft vereinbar ist und dazu dient, die Information oder Stimmung besser transportieren zu können. Gleich verhält es sich dabei mit dem Einsatz der Bewegung. Natürlich würden ein Stroboeffekt und explodierende Objekte eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich lenken. Wenn es aber nicht mit dem Inhalt zusammenpasst, erhöht die zugefügte Bewegung langfristig nicht den Transport der Information des Plakates, sondern dient eher einer kurzzeitigen Effekthascherei.

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Die Bewegung kann Raum schaffen für zusätzliche, das Plakat verstärkende Elemente, auf die beim gedruckten Plakat verzichtet werden musste. So zum Beispiel beim Plakat für die Luzerner Juso, welches gestaltet wurde um darauf aufmerksam zu machen, dass man vor lauter Touristenbussen in der Innenstadt die Stadt selber nicht mehr sehen kann. Auf dem gedruckten Plakat stehen Busse dicht gedrängt aneinander, wodurch der Hintergrund gänzlich verdeckt bleibt. In der bewegten Version entstehen durch das Fahren der Busse Lücken, wodurch im Hintergrund kurzzeitig der bekannte Luzerner Wasserturm sichtbar wird.

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Bei bewegten Plakaten kann stärker mit der Lesbarkeit gespielt werden als beim gedruckten Plakat. Durch die Vielzahl von Frames lassen sich, anders als beim gedruckten Plakat, Informationen mal lesbarer mal unlesbarer zeigen. Das Spiel mit der Lesbarkeit erzeugt Spannung und steuert die Leserichtung.
Ein gutes Beispiel dafür ist das »Vlow!«-Plakat von Studio Feixen. Es zeigt ein gut ausbalanciertes Wechselspiel zwischen der hin- und herschiebenden Schriftebene im Hintergrund und der verformenden Ebene im Vordergrund, wodurch mal der Titel, mal das Datum verdeckt oder preisgegeben wird.

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Ein bewegtes Plakat sollte so gestaltet sein, dass die Information schnell genug erfasst wird und man jederzeit ein- oder aussteigen kann. Dass ein bewegtes Plakat anders als gewöhnliche Filmdisziplinen funktioniert wird deutlich, wenn man die Handlungen vergleicht. Während ein Film, zusammengehalten von einem Spannungsbogen, durch verschiedene Szenen führt und eine Fernsehwerbung den Zuschauern erst das Problem und dann die Lösung präsentiert, kann man bei der Entwicklung eines bewegten Plakats nicht davon ausgehen, dass der Betrachter den Ablauf ganz und in gleicher Abfolge sehen wird. Ein bewegtes Plakat sollte aus diesem Grund keine filmischen Erzählmethoden, wie Schnitte, Kameraschwenks, und keinen allzu langen Handlungsstrang aufweisen. Dies bedeute nicht, dass es unmöglich ist, kleine Geschichten zu erzählen. Ein schönes Beispiel hierfür ist das Plakat »Fundbüro«. Allerdings ist es wichtig darauf zu achten, dass die Handlung auf eine kurze Zeitspanne beschränkt wird, um dem Betrachter in der Kürze die Möglichkeit zu geben, die Geschichte zu erfassen.

IV Warum Plakate bewegen?

Es gibt mehrere Gründe, warum Plakate bewegt werden. Zum einen schafft der technische Fortschritt neue Möglichkeiten. Wie einst die Fotografie und später der Computer die Plakatgestaltung veränderten, so bewegen Gestalter heute Plakate, weil Animationsprogramme und digitale Plakatwände auf unseren Straßen die Möglichkeit dazu bieten.

Zum anderen fanden sich in der gedruckten Plakatkunst schon immer Versuche, mittels Überlagerung, Schattenwurf und Perspektive einen dreidimensionalen Raum zu erschaffen. Mit dem Einsatz der Bewegung lässt sich nun ein weitaus intensiveres Raumgefühl simulieren. Das zeigt zum Beispiel das Plakat von Lucas Hesse, bei welchem ein Tischtennisball dem Betrachter wie im 3D-Kino aufs Gesicht zu fliegt. Oder im Plakat »Form phallus function«, bei dem sich plötzlich ein Dreieck und ein Quadrat in eine Pyramide und einen Kubus verwandeln und von der Schwerkraft zu Boden gezogen werden.

Das wahrscheinlich wichtigste Argument für die Legitimation bewegter Plakate ist deren gesteigerte Auffälligkeit. Während beim gedruckten Plakat die Plakativität bei großen Flächen und knalligen Farben endet, geht das bewegte Plakat mit der Bewegung noch einen Schritt weiter. Denn, man kann nicht leugnen, dass Bewegung unsere Aufmerksamkeit an sich reißt. Dies beginnt bereits bei kleinen, zurückhaltenden Bewegungen und kann bis ins Blinkende, Extreme gesteigert werden.

Ob es nun die bisher im öffentlichen Raum noch relativ neue Technik ist, ein ungewohntes Raumgefühl, die gesteigerte Aufmerksamkeit oder eine Mischung daraus – das bewegte Plakat ist in der Gesellschaft angekommen und hat sich als eigenes Medium im öffentlichen Raum integriert. Wie es seine Stärken perfektionieren wird, muss sich noch zeigen.

V Von der Straße ins Web

Während das bewegte Plakat im öffentlichen Raum, wie an Bahnhöfen oder in Einkaufsstraßen, auf die dort platzierten Screens beschränkt ist, bietet das Internet ein extrem erweiterndes Spielfeld. Das bewegte Plakat funktioniert in unseren Social-Media-Accounts ähnlich wie auf den Straßen. Beim Durchscrollen des Newsfeeds hat es nur einen Augenblick Zeit, auf sich aufmerksam zu machen und zu informieren. Im öffentlichen Raum besticht das Plakat vor allem durch seine Größe. Da diese Komponente im digitalen Bereich nicht auszuschöpfen ist, verliert das Plakat im Web leider oft an Stärke. Durch Bewegung kann diesem Verlust entgegengesteuert werden.

Auf den gängigen Social-Media-Plattformen bietet sich dem bewegten Plakat noch eine ganz neue Möglichkeit: der Loop. Während auf Screens am Straßenrand im 10-Sekunden-Intervall Plakat auf Plakat folgt, wird im Web dasselbe Plakat fortlaufend wiederholt.

Durch den Aspekt dieser endlosen Repetition verliert die Bewegung die Wichtigkeit von Anfang und Ende und entwickelt eine eigene Dynamik. Der Loop sollte bereits bei der Konzeption eines bewegten Plakats beachtet werden. Im besten Fall wird ein Plakat so bewegt, dass der erste und der letzte Frame identisch sind um einen nahtlosen Übergang zu garantieren.

VI Interaktive Zukunft

Der kreative Schaffensprozess endet beim digitalen Plakat nicht wie beim analogen mit dessen Druck, sondern kann selbst nach der Veröffentlichung noch weiter verändert und angepasst werden. Bei den digitalen Plakatwänden im öffentlich Raum wird es wohl noch etwas länger dauern, bis diese mit den nötigen Sensoren ausgestattet sind, um interaktive Spielereien, wie Reaktionen auf externe Bewegungen, definierte Zielgruppen oder das Wetter ausprobieren zu können.

Aber unsere Smartphones und Tablets, haben bereits Kameras, Neigungssensoren, Mikrofone und bald wohl noch viel mehr, womit bewegte Plakate nicht einfach nur linear ihre Bewegungen abspielen, sondern mit dem Betrachter individuell interagieren können. Dadurch wird der bisher passive Betrachter zum aktiven Mitgestalter.

Gleichzeitig bleibt aber auch die Frage offen, wie lange uns diese interagierende Option noch reizen wird. Schließlich handelt es sich bei Plakaten meist um Werbung, die etwas von uns will, und nicht umgekehrt. Momentan sind digitale Spielereien noch spannendes Neuland, und schon die kleinsten Gimmicks sind großes Feuerwerk.

Außer Frage steht, dass sich die Plakatlandschaft noch mehr verändern wird, daran besteht kein Zweifel. Aber spätestens, wenn wir alle mit Googleglasses und Microsoft Hologlases herumspazieren und alles überall bewegt ist, müssen wir uns fragen, wo wir anfangen sollten Grenzen zu ziehen. Vielleicht ist irgendwann das statische Plakat der Exot in einer blinkenden Welt, der durch seine Unbewegtheit auffällt, interessiert und fasziniert.

Josh Schaub

Josh Schaub studierte visuelle Kommunikation mit dem Schwerpunkt Grafik-Design an der Hochschule für Design & Kunst in Luzern, wo er 2012 seinen Bachelor machte. Seitdem arbeitet er als selbständiger Grafik-, Informations- und Motiondesigner in Zürich. Zudem ist er der Gründer des Onlinearchivs themovingposter.com und der Kurator der Ausstellungsserie »Das bewegte Plakat«, welche die unterschiedlichen Möglichkeiten animierter Plakate zeigt und bereits in der Schweiz, Russland und Belgien zu sehen war. Nebenbei hält er Vorträge und leitet Workshops über Plakate in bewegter Form, denn - he likes to move it!

http://joshschaub.ch